Kindheit und Jugend
Die Geburt Hannes Schneiders 1890 fiel in eine Zeit großer Umbrüche. Der kleine Ort Stuben – einst als Wärmestube für Reisende über den Arlbergpass gegründet – stand nach der Eröffnung der Arlbergbahn im Abseits; es drohte sogar die Entsiedelung. Die Familie Schneider stammte ursprünglich aus Marul, Josef Schneider hatte während des Baus der Arlbergbahn in einem Steinbruch gearbeitet und war nunmehr als Wegmacher beschäftigt. Im April 1889 verehelichte er sich in Stuben mit Filomena Matdies aus St. Jakob am Arlberg. Der erstgeborene Sohn wurde auf den Namen Johann Baptist getauft; erst in den 1920er Jahren
sollte er (wohl aus Gründen der besseren Werbewirksamkeit) Hannes genannt werden. Er wuchs mit vier Geschwistern – den Brüdern Josef Anton, Alois und Friedrich und Schwester Juliana – in Stuben auf.
An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert fanden die ersten Skiläufer den Weg an den Arlberg. 1900 sah der junge Johann Schneider nach eigenen Worten die ersten Skifahrer in Stuben: Viktor Sohm, Max Madlener und Karl Gruber. Die Begegnung mit Viktor Sohm sollte später weitreichende Folgen haben.
Fotografie der Familie Schneider um 1905 (Foto: Erich Berthold)
Viktor Sohm als Skilehrer
Seinen Mentor fand der junge Johann Schneider in Viktor Sohm, der dem Skilauf am Arlberg zu Beginn des 20. Jahrhunderts die entscheidenden Impulse gab. Schon 1887 hatte Sohm auf dem Gebhardsberg mit ein paar Skiern experi-mentiert, die sein Bruder importiert hatte. Nach einem Aufenthalt in den USA setzte er Ende des 19. Jahrhunderts seine Skiversuche fort und konnte bald Gleichgesinnte um sich scharen. Sehr bald unternahmen Sohm und seine Mitstreiter auch Touren ins Arlberggebiet.
In jene Zeit fällt auch die Gründung des Skiclubs Arlberg am 3. Jänner 1901 im Hospiz St. Christoph. Unter der Führung von Rudolf Gomperz und Carl Schuler setzte dieser in den kommenden Jahren wichtige Impulse zur Förderung des Skilaufs am Arlberg und auch zur Ausbildung des jungen Skiläufers Johann Schneider. Dieser erhielt jedoch zunächst besondere Förderung durch Viktor Sohm. Schon 1903
konnte der junge Schneider im Alter von gerade 12 Jahren sein Talent beim ersten vereinsinternen Rennen des Skiclubs Arlberg unter Beweis stellen. Später nahm er an den ersten Skiwettkämpfen auf dem Bödele teil, wo er den Sieg beim Seniorensprunglauf erreichte. Seine Erfolge machten ihn bald bekannt, und er erhielt über Vermittlung von Fritz Iklé eine Einladung, als Skilehrer in Les Avants in der Schweiz zu arbeiten. Gleichzeitig wurde Schneider jedoch durch den Gastwirt in St. Antons führendem Hotel Post und Rudolf Gomperz, der sich 1905 in St. Anton niedergelassen und 1906 den Vorsitz des Skiclubs Arlberg übernommen hatte, eingeladen, als Skilehrer des Skiclubs Arlberg im Hotel Post tätig zu sein.
„Ich blieb doch lieber in der Heimat und in meinen Bergen“ lautete Schneiders Devise, und in seiner Entscheidung wurde er sicherlich von den Eltern bestärkt. So trat er im Dezember 1907 seine neue Stelle als Skilehrer in St. Anton an.
Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Skikurses, den Viktor Sohm 1906 in Zürs veranstaltete. (Foto: Felicitas Suter)
Arlbergtechnik und -schule
Eine Methode des Skiunterrichts gab es vor dem Ersten Weltkrieg nicht – vielmehr bestand dieser aus Demonstration und Nachahmung. Wenngleich schon eine „stattliche Anzahl Teilnehmer“ den Unterricht Schneiders in den ersten Jahren in St. Anton in Anspruch nahmen, so blieb ihm doch viel Zeit für die Weiter-entwicklung seiner Technik. Sein Ziel war es, sicheres Abfahren mit hoher Geschwindigkeit zu ermöglichen, denn in der Abfahrt verstand er den Reiz des alpinen Skifahrens, nicht im Tourengehen. Er versuchte, Schneepflug, Stemmschwung und den sogenannten Stemmchristiania zu forcieren und lehnte den Telemark ab.
Auch fuhr Schneider in zunehmend geduckter Fahrweise, die später als „Arlberghocke“ Berühmtheit erlangen sollte. Während des Ersten Weltkriegs erteilte Johann Schneider Soldaten der österreichisch-ungarischen Armee Skiunterricht an der Dolomitenfront. Seine später als Arlbergschule bekannte Lehrmethode – die auf Gruppen-unterricht je nach Stufe des Könnens basierte – erhielt dabei wesentliche Impulse. Nach dem Ende des Krieges gründete Schneider seine eigene Skischule, unabhängig von Skiclub Arlberg und Hotel Post. Die Zahl der von ihm beschäftigten Skilehrer stieg in den 1920er Jahren immer mehr an.
Hannes Schneider demonstriert seine Skitechnik. (Foto: Familie Schneider)
Skifilme und Arlberg-Kandahar
Bereits vor dem Ersten Weltkrieg war Dr. Arnold Fanck auf den Skiläufer Hannes Schneider aufmerksam geworden. Mit diesem drehte er 1920 den Film „Wunder des Schneeschuhs“, in dem das Skilaufen der damaligen Zeit gezeigt wurde.
Fanck beschäftige ausgesuchte Kameramänner, von denen die bekanntesten Sepp Allgeier und Hans Schneeberger waren. In Schneider fand er den idealen Darsteller für seine Filme. Damit war ein neues Genre des Films geboren: „Der deutsche Bergfilm“, dessen zwei berühmteste – und neben Fanck mehr oder weniger einzige – Protagonisten in der Folge Leni Riefenstahl und Luis Trenker waren.
In den Stummfilmen der 20er Jahre spielte Hannes Schneider jeweils den Skifahrer oder Bergsteiger. Er verkörperte einen Typus des Mannes aus den Bergen, der eng mit der Natur verbunden ist. Auch zahlreiche seiner Skilehrer spielten in kleineren Rollen in den Filmen Fancks mit.
Folgende Filme entstanden mit Beteiligung von
Hannes Schneider:
- Im Kampf mit dem Berge (1921)
- Das Wunder des Schneeschuhs – Teil 2: Fuchsjagd auf Schneeschuhen durchs Engadin (1922)
- Der Berg des Schicksals (1924)
- Die weiße Kunst (1924)
- Der heilige Berg (1926)
- Der große Sprung (1927)
- Der Kampf ums Matterhorn (1928)
- Die weiße Hölle vom Piz Palü (1929)
- Der weiße Rausch (1931)
Anlässlich eines Besuches in St. Anton am Arlberg lernte der britische Skipionier Arnold Lunn 1927 in St. Anton am Arlberg Hannes Schneider kennen. Im schweizerischen Mürren hatte Lunn sich in den vergangenen Jahren – vor allem im Rahmen des Kandahar Ski Clubs – für die Popularisierung der alpinen Disziplinen Abfahrt und Slalom eingesetzt.
Für 1928 wurde nun die Austragung der ersten alpinen Kombination aus diesen Disziplinen in St. Anton am Arlberg geplant. Sie sollte die Namen der beiden veranstaltenden Skiclubs erhalten: Arlberg-Kandahar. Friedrich Schneider – der jüngere Bruder von Hannes – konnte sich dabei als erster Gewinner der Abfahrt vom Galzig einen Namen machen. Der Erfolg der Arlberg-Kandahar-Kombination, die ab 1931 abwechselnd in St. Anton und Mürren ausgetragen wurde, trug maßgeblich zum internationalen Durchbruch des alpinen Skirennlaufes bei.
Hannes Schneider, Leni Riefenstahl und Rudi Matt bei den Dreharbeiten zum Film "Der weiße Rausch" (Foto: Familie Schneider)
Internationaler Ruhm
Um 1930 stand Hannes Schneider am Gipfel seines Ruhms: Filmstars und gekrönte Häupter aus aller Welt erlernten in seiner Skischule in St. Anton am Arlberg das Skilaufen. Gemeinsam mit Rudolf Gomperz hatte Schneider die sogenanngen DAKS (Deutsche Arlberg Kurse Schneider) ins Leben gerufen, die tausende deutsche Gäste an den Arlberg lockiten. Diese Werbemaßnahme ist ein Meilenstein in der Entwicklung des organisierten Wintertourismus.
Seine Reise nach Japan, wo er 1930 auf Einladung zahlreiche Vorträge hielt und seine Skitechnik demonstrierte, festigte den internationalen Ruhm des Skimeisters. 1935 führte er eine Werbefahrt für St. Anton nach Frankreich, England und Belgien durch. Ein Jahr später bereiste er erstmals die Vereinigten Staaten. In Begleitung seiner beiden in den USA wirkenden Skilehrer Benno Rybizka und Otto Lang hielt Schneider Skidemonstrationen im Madison Square Garden ab.
Emigration
Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Österreich im März 1938 wendete sich das Blatt im Leben Hannes Schneiders. Die neuen Machthaber – die als illegale Nationalsozialisten in seiner Skischule nicht geduldet worden waren – veranlassten seine Verhaftung und die spätere Ausreise nach Garmisch-Partenkirchen. Eine Rückkehr und neuerliche Übernahme der Skischule blieben ihm verwehrt. Internationale Kontakte ermöglichten 1939 die Ausreise der Familie Schneider in die USA, wo ein einflussreicher Financier, Harvey Dow Gibson, den berühmten „Skimeister“ mit dem Aufbau eines Skigebietes in seinem Heimatort North Conway (New Hampshire) beauftragte.
Rudolf Gomperz – der bis heute oft zu wenig gewürdigt wird – blieb dieses Glück verwehrt: Obwohl getaufter Protestant, galt er nach den NS-Rassegesetzen als "Volljude". Als solcher wurde er 1942 nach Wien gebracht und schließlich nach Maly Trostinec deportiert und ermordet. Hannes Schneider hingegen blieb auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in den USA, wo er 1955 verstarb.
Hannes Schneider (rechts sitzend) bei einem gesellschaftlichen Ereignis in North Conway (Foto: Familie Schneider)